In dieser Folge haben wir mal frei heraus unsere Gedanken zum Thema „Vibrissen“ bzw. „Vibrissen kürzen“ formuliert. Einige interessante Links stellen wir euch hier als Handout rein.
1] Gutachten zu den Tasthaaren (Vibrissen) des Haushundes: Dürfen sie entfernt werden?
Gutachterliche Stellungnahme:
Döring D, Bartels A, Erhard MH. Gutachterliche Stellungnahme zur Problematik des Entfernens der Sinushaare beim Haushund. LMU München 2019.
Download pdf (KB 892) Videos zum Thema: <<klick>>
Publikationen zu diesem Thema:
Döring D, Bartels A, Erhard MH. Bedeutung der Tasthaare beim Haushund und Problematik des Abschneidens aus Sicht des Tierschutzes. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere 2020;48:186-195. https://doi.org/10.1055/a-1162-1370
Döring D, Bartels A, Erhard MH. Ist das Entfernen der Vibrissen beim Haushund tierschutzrelevant? Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle 2020; 27(3):134-138.
Mittlerweile gibt es ein Österreichisches Gerichtsurteil, das bestätigt hat, dass ein Abrasieren der Tasthaare beim Pudel in Österreich tierschutzwidrig ist (Landesverwaltungsgericht Steiermark, LVwG 30.9-60/2021-37 vom 16.03.2022). Ein Österreichisches Gutachten dazu finden Sie hier.
2] Projekt zum Thema Vibrissen der GKF
3] Position des VDHs zum Thema Vibrissen
Rundschreiben des VDHs an die Mitgliedsvereine
4] Urteil bei Nacktkatzen (Canadian Sphynx)
Urteil vom 23.09.2015 – 24 K 202.14
5] Clipping-Verbot bei Pferden
Abschneiden der Tasthaare ab 2021 auf FEI-Turnieren verboten
Lisa-Marie Tomenendal
Ich finde das Thema, wie es aktuell aufgezogen wird, so unglaublich lächerlich.
Ich bin seit 2014 Hundefriseur und ich habe noch nie auch nur einen Hund gehabt, der auf das Schneiden der Vibrissen reagiert hätte.
Aber gut, das heißt ja noch lange nichts. Ich hätte auch absolut nichts dagegen wenn es eine Vorgabe geben würde, das Vibrissen z.B. Minimum 3 cm lang sein müssen, also die Schnauzen nicht mehr geschoren werden dürfen. Das ist absolut machbar. Aber aktuell ist ja das bloße kürzen bereits eine Straftat und das ist lächerlich und einfach nicht umsetzbar!
Was mich noch dazu noch mehr nervt, das quasi jeder bei „Vibrissen“ nur an die an der Schnauze denkt… Aber wie ihr bereits gesagt habt, es gibt ja noch viel mehr! Gerade direkt vorne am Kinn sind etliche, ganz feine, genau wie an den Lippen, über den Augen, an den Wangen.
Natürlich, wenn man von einer perfekten Welt ausgeht, in der jeder Hund so erzogen ist, das er jede Pflege kennt und mit macht UND in der jeder Besitzer diese Pflege entsprechend durchzuführen weiß, dann wäre es kein Problem, das Fell im Gesicht bis ins endlose wachsen zu lassen oder in einer stundenlangen Prozedur um jede Vibrisse herum zu schneiden (wobei das vollkommen unmöglich ist. Es wird IMMER Vibrissen geben, die gekürzt werden). Aber das ist nicht die Realität. Bärte werden siffig und stinkend, gerade bei Hunden die ihre Nase in jedes Erdloch stecken oder jeden Haufen genau untersuchen. Augen wachsen vollkommen zu. Von Filz brauchen wir ja gar nicht erst anfangen. Die meisten Hunde bringen gerade so die Geduld auf, ihre Gesichter normal geschnitten zu bekommen.
Und, auf die Gefahr in Whataboutism abzurutschen… Es gibt wirklich wirklich wirklich so unglaublich viele wichtigere Themen um die man sich kümmern müsste, die man unter Strafe stellen müsste. Hunde mit Übergewicht, Hunde mit zu langen Krallen, verfilzte Hunde, Qualzuchten….. Das sind alles Themen, da SIEHT man auf den ersten Blick, selbst als Laie, das ein Tier leidet, da braucht es nicht Mal ein Gutachten. Es tut mir weh, jeden Tag (und nein, das ist nicht übertrieben) mindestens einen Hund auf dem Tisch zu haben, der leidet und niemanden interessiert das, wenn ich beim VetAmt anrufe, gibt es ein Schulterzucken… Und gleichzeitig muss ich wirklich ernsthaft Angst davor haben das mir eine Anzeige ins Haus flattert, weil ich Frau Müllers Yorkshire Terrier die Augen frei geschnitten habe. Es gibt Kollegen die haben bereits Abmahnungen erhalten. Wir reden da bin Strafandrohungen im mittleren vierstelligen Bereich. Das ist lächerlich und macht mich unglaublich traurig und… Es macht mir Angst, ob ich meinen Traumberuf überhaupt noch ausüben kann.
Marina
Hallo, ihr habt nur ein einziges Gutachten genommen, um diese Situation aus gutachterlicher Sicht zu beleuchten.
Ich finde das recht schwach. Zum Beispiel hättet ihr ja erwähnen können, dass kein einziger Hund im Sinne einer good scientific practice untersucht wurde in dem Gutachten von Döring et al. Dann könnte man auch abschätzen, wie stark dieses Gutachten belegt ist. Oder dass Querschnitte von 1941 genommen werden, um dies Thesen zu belegen, in denen steht: „Der wissenschaftliche Beweis […] ist nach Ansicht der Autoren dieses Gutachtens nicht nötig.“ Das ist keine wissenschaftliche Vorgehensweise und erst recht keine Grundlage, um Hunde von Veranstaltungen aller Art (nicht nur Show, sondern auch Sport, Einsatz als Rettungshund, Therapiehund, Diabetikerwarnhund etc.) auszuschließen, insbesondere wenn „bislang keine Untersuchungen veröffentlicht [wurden], die zeigen, bei welcher Länge die Sinushaare beim Haushund ihre Funktion erfüllen“.
Ein anderes Gutachten, was zu völlig anderen Schlüssen kommt, ist: Dehnhardt, G. (2001). Gutachten zur Bedeutung des Scherens der Vibrissen beim Pudel. Universität Bochum, Allgemeine Zoologie und Neurobiologie.
Hunde sind eben keine Pferde, keine Katzen, keine Seekühe oder sonstige Tiere, die für dieses Gutachten herangezogen werden. Fakt ist, es gibt dazu keine wissenschaftliche Arbeit.
Davon ab bezeichnet ihr das Abscherverbot, das bisher ausschließlich in Deutschland über den VDH festgesetzt wurde, als Gesetz. Im Gegensatz expliziten Aufzählung von Ruten- und Ohrenamputation sind Vibrissen weder in TSchG §6 noch TSchHV §10 aufgeführt, auf das sich vonseiten des VDH bezogen wird. Es gibt keinen gesetzlichen Passus, der ein „Abscherverbot“ benennt. Wie ihr selbst sagt, ist das Abscheren einer Vibrisse selbst nur ein Abschneiden von totem Gewebe, nämlich Keratin. Die ennervierte Wurzel selbst wird weder beschädigt und erst recht nicht amputiert. Dann müsste man die Haarwurzel ausbrennen und das Gewebe zerstören. Das tut man natürlich nicht, sonst würde es ja nicht nachwachsen. Keratin einkürzen macht man auch beim Krallenschneiden, auch dort ist die Basis ennerviert. Deswegen ist Krallenschneiden immer noch keine Amputation.
Aus meiner Sicht zieht ihr zu wenige Daten ran, benennt Sachlagen nicht korrekt und garniert das mit Aussagen wie „jeder einigermaßen normal denkender Mensch würde rein vom Bauchgefühl her sagen Ne ist ja Blödsinn“ (Min. 27.38).
Davon abgesehen, dass es zu wenige Evidenzen gibt, um darüber in einem angemessenen Rahmen zu sprechen, hat das Thema auch nichts mit Zucht zu tun. Es ist durch züchterisches Bemühen nicht möglich plötzlich Tibet Terrier ohne lange Haare an der Schnauze zu züchten. Und gerade ihr vertrete doch die Meinung, dass, selbst wenn das so easy möglich wäre, so ziemlich alles andere in der Zucht wichtiger ist, als auf äußere Merkmale hinaus zu züchten und andere Kriterien (Genpool, Krankheiten, Charakter, Arbeitsleistung usw) für dieses Merkmal zu vernachlässigen.
Verena Priller
Hallo Marina,
danke für Deinen ausführlichen Kommentar, wir freuen uns über aktive Teilnahme und kontroverse Diskussionen. Ich bin allerdings sicher, wenn Du die Folge nochmal anhörst, wirst Du einige Deiner Punkte revidieren. Verlinkt und angesprochen wurden alle uns bekannten, existenten Quellen (s.o.) und genau dieser Punkt mehrfach betont: Es ist bisher nicht erforscht, ob das Kürzen von Vibrissen bei lockigen/bärtigen Rassen einen Nachteil bedeutet oder nicht, sondern es wird ausdrücklich auch in den entsprechenden Stellungnahmen/Gutachten darauf hingewiesen, dass weitere Forschung erforderlich ist, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob im Falle von gekräuselten oder im Fell verborgenen Vibrissen diese noch voll funktional sind.
Aus tiermedizinischer bzw biologischer Sicht gehört der Halteapparat der Sinushaare zu den Sinneszellen und es ist bei einer Vielzahl von Säugetieren nachgewiesen, dass ein ganzes Gehirnareal Nervenimpulse aus dem Blutsinus auszuwerten. DAS ist der Punkt, der laut TSchG verboten ist – es geht nicht um ein „Abscherverbot“, sondern um die resultierende (temporäre) Ausserkraftsetzung eines Sinnesorgans. Krallen funktionieren auch gekürzt noch, abgeschorene Vibrissen können nicht mehr aufgestellt und bewegt werden, insofern finde ich passt der Vergleich nicht wirklich. Wie gesagt, da sind wir uns einig – man muss es individuell betrachten und es fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse. Ein Hund ist keine Seekuh und kein Pferd, aber keiner kann sagen, ob das Prinzip dahinter gleich ist oder ob es abweicht – also beriefen sich einige Gutachter auf „in dubio pro animale“. Österreich ist Deutschland da übrigens vorangegangen, da gab es schon bei einer Ausstellung in Graz 2021 erste Ordnungsgelder für geschorene Vibrissen. Und eines muss mal nun mal anerkennen: Es ist wissenschaftlich unstrittig, dass Vibrissen eine ganz entscheidende Funktion haben bei Tieren mit kurzem Fell um die Schnauze. Bei solchen kurzfelligen Rassen nur „für eine cleane Optik“ die Vibrissen zu entfernen, entbehrt jeder Grundlage und Sinnhaftigkeit und die Frage muss sich jeder dann selbst beantworten, ob da der richtige Fokus gesetzt wird, wenn ein paar Härchen als „störend für den Look“ empfunden werden.
Da sind wir dann eher in einer Ethikdiskussion – was darf ich als Mensch wie nach meinem Gusto formen? Unbestreitbar hat in vielen Rassen die Übertypisierung um sich gegriffen, viel und/oder langes Fell auch an der Schnauze ist eines der möglichen Merkmale. Der Tibet Terrier ist ein gutes Beispiel, wenn man sich die aus dem Heimatland eingeführten Hunde anschaut, wie Sie bei Ankunft aussahen und wie der heutige Showtyp aussieht. Diese Fragen werden aktuell der Rassezucht gestellt, sehen Züchter objektiv diese Übertreibungen? Muss nicht Zucht immer da Grenzen haben, wo es für den Hund nachteilig wird, also beispielsweise ein Hund ohne ständiges Bürsten/Baden nach einigen Wochen vor lauter Filz nicht mehr laufen könnte? Würde sich ein Hund mit weniger und kürzerem Fell wohler fühlen?
Da Du selbst Pudel züchtest, würde mich insbesondere interessieren, was der Pudelklub bzw auch in Kooperation mit anderen Clubs denn unternommen wurde/wird, um genau diese Wissenslücke zu schliessen, ob die Erkenntnisse von kurzfelligen Tieren übertragbar sind auf gekürzte/lange Bärte? Es war ja einigermassen absehbar, dass das Thema immer wieder brisant wurde durch verschiedene Gutachten und Stellungnahmen oder auch das Urteil zu den Sphinxkatzen – gab es Gegenmassnahmen?
Viele Grüße, Jana & Verena
Marina
Hallo Verena, soweit ich weiß, gab es bisher vonseiten meiner Rasse von keinem der vier Rasseklubs im VDH eine öffentliche Stellungnahme zum Thema Vibrissen. Mir ist auch kein anderer Klub einer betroffenen Rasse (und das sind viele Rassen) bekannt, der da irgendetwas veröffentlicht hat. Für mehr reicht hier die Kommentarspalte nicht aus.
Ich würde euch trotzdem das Gutachten von Dehnhardt ans Herz legen, denn dort ist genau der Vergleich zwischen verschiedenen Arten und den Unterarten untereinander beschrieben, wie unterschiedlich die Funktion der Vibrissen ist. Die Schlussfolgerung ist da, dass man es eben nicht für eine taxonomische Gruppe und nicht mal eine ganze Art sagen kann, wie und ob die Vibrissen genutzt werden. Als Schlussfolgerung müsste man sich jede betroffene Hunderasse einzeln ansehen. Meiner Meinung nach werden hier Bauernopfer gemacht, damit der VDH sagen kann er hat was gegen Qualzuchten erlassen. Und das ist für mich der falsche Ansatz. Vibrissen da oder nicht da ist nicht das Problem in der modernen Hundezucht.
Natascha Kleiter
Frage – wenn das Scheren von Vibrissen tierschutzrelevant ist- ist das Tragen von Maulkörben – an denen die Vibrissen ja dauernd anstossen- dann Tierquälerei?
Hundezucht-Podcast
Huhu, ich denke nicht – zumindest gibt es dafür keine rechtliche Grundlage!