Was bedeutet Brachycephalie?
Das Wort leitet sich von „brachy=kurz“ und „kephalus=Kopf“ ab. „Brachycephal“ beschreibt also einen „kurzköpfigen“ Hund.
Man unterscheidet an einem Hundeschädel den sogenannten „Gesichtsschädel“ und den „Hirnschädel“. Grob kann man sich merken, ein Hund mit einem gleichlangen Gesichts- und Hirnschädel bezeichnet man als mesocephal. Der mesocephale Phänotyp entspricht am Ehesten dem „Wildtyp“. Als Beispielrasse kann man hier den Deutschen Schäferhund nennen.
Hunde mit einem längeren Gesichtsschädel als dem Hirnschädel bezeichnet man als dolichocephal. Sehr viele Windhunde sind dolichocephal.
Hunde mit einem kürzeren Gesichtsschädel als Hirnschädel sind brachycephal.
Zu den brachycephalen Rassen gehören z.B Yorkshire-Terrier, Malteser, Boxer, Cavalier King Charles Spaniel, Affenpinscher, Boston Terrier, Border Terrier, Chihuahua, Pekinese, Japan Chin, englische Bulldogge, Französische Bulldogge, Mops – und viele mehr!
dolichocephal
mesocephal
(extrem) brachycephal
Besonders EXTREME Brachycephalie geht mit erheblichen anatomischen Anomalien einher, die zu lebenslangen Einschränkungen und Leid bei den betroffenen Hunden führen können. In unserer Folge beschäftigen wir uns vornehmlich mit den Folgen extrem brachycephaler Hunde. Besonders disponiert für sehr schwerwiegende gesundheitliche Probleme sind englische Bulldogge, Französische Bulldogge und Möpse. Aber auch andere (extrem) brachycephale Hunde können aufgrund ihrer anatomischen Deformationen entsprechende Behinderungen aufweisen.
Nachfolgend listen wir gesundheitliche Probleme auf, die durch Brachycephalie entstehen. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
1) BOAS/BAS = Brachycephales (obstruktives) Atemnotsyndrom
Der normale Atemapparat unserer Hunde ist ein ausgeklügeltes System und hochfunktional. Er spielt außerdem eine essentielle Rolle bei der THERMOREGULATION. Die Selektion auf kurze Nasen hat deshalb einen erheblichen Einfluss auf dieses empfindliche System. Die Folgen von extremer Brachycephalie, die in BOAS münden, sind unter anderem: Leistungsintoleranz, Hitze- und Stressempfindlichkeit bis hin zur lebensgefährlichen Hyperthermie mit Todesfolge, Schnarchen/Röcheln/Husten/Grunzen, Verschlucken, Erbrechen, Schlafstörungen, Atemnot, Hypoxie und Bewusstseinsverlust.
folgende anatomische Strukturen können bei Brachycephalie missgebildet sein:
1) zu enge Nasenlöcher (oft nur Schlitze)
2) Deformationen der Nasenmuscheln und Nasengänge mit Verkleinerung der Nasenhöhle, Verlegung der luftführenden Wege
3) Verkleinerung bis hin zum kompletten Verschwinden der Nasennebenhöhlen und Stirnhöhlen
4) zu große Zunge
5) zu langes und zu dickes Gaumensegel, zu dicke Tonsillen
6) vorgefallene Stimmtaschen, Kehlkopfkollaps
7) Hypoplasie (Unterentwicklung) der Luftröhre
8) Luftröhrenkollaps und Bronchialkollaps
Hunde mit BOAS haben schwerwiegende Behinderungen des normalen Luftstroms. Sie müssen BEI JEDEM Atemzug gegen Widerstände atmen! Damit bei der Atmung genug Luft und Sauerstoff in den Hundekörper gelangen kann, müssen diese Hunde dauerhaft einen erhöhten Unterdruck bei der Atmung erzeugen. Dies führt zu einem anhaltenden „Trauma“ und Belastung der betroffenen Schleimhäute, die darauf mit einer chronischen Verdickung reagieren. Dies wirkt sich wiederum negativ auf den Luftstrom aus und das Ganze mündet in einem Teufelskreislauf!
BOAS ist PROGRESSIV. Das heißt, die Erkrankung entwickelt sich langsam. Brachycephale Hunde können im jungen Alter noch relativ unauffällig sein und trotzdem im Laufe ihres Lebens massive Symptome von Atemnot entwickeln.
Schnarchen, Röcheln und Grunzen ist im Übrigen KEIN „Rassecharakteristikum“, sondern eine PATHOLOGISCHE STÖRUNG.
Mit verschiedenen OP-Techniken können bestimmte Engstellen im oberen Atemtrakt behoben oder zumindest so verbessert werden, dass eine klinische Verbesserung der Atmung und des Allgemeinbefindens erreicht werden kann, was die Lebensqualität der betroffenen Hunde steigern kann. Je früher operiert wird, umso besser.
Dennoch kann nicht allen Hunden mit einer OP zufriedenstellend geholfen werden. Es ist außerdem möglich, dass Hunde durch die OP nur für einen begrenzten Zeitraum eine klinische Verbesserung zeigen, da BOAS progressiv verläuft und eine OP nur Schadensbegrenzung, aber niemals Heilung bedeutet.
Einige Missbildungen können chirurgisch gar nicht bearbeitet werden z.B. eine Unterentwicklung der Trachea. Ein kollabierter Kehlkopf (oft „Endstation“ des progressiven Verlaufs von BOAS) ist prognostisch schlecht einzustufen.
2) Gastrointestinale Probleme
Studien haben gezeigt, dass viele Magendarmprobleme, durch BOAS entstehen.
1) Erbrechen und Verschlucken (zu langes Gaumensegel, das in den Kehlkopf reinragt und zum Würgereiz und Luftnot führt)
2) Hiatus-Hernie (Teile des Magens werden durch den ständigen Unterdruck bei der Atmung durch das Zwerchfell in die Speiseröhre gedrückt)
3) Pylorusstenose (Verdickung des Magenpförtners, resultiert in Magenentleerungsstörungen, ebenfalls Folge des ständigen Unterdrucks)
4) Reflux (erklärt sich durch Punkt 2)
5) Aerophagie (übermäßiges Abschlucken von Luft, durch die verstärkte Atmung und vermehrtes Hecheln, führt zu Bauchschmerzen)
6) Schmerzen/Gebetshaltung/Futtermittelallergien/IBD
Es gibt Studien, die zeigen, dass Hunde mit gastrointestinalen Problemen, die mit BOAS gekoppelt sind, sich durch BOAS-Chirurgie verbessern können.
3) Bandscheibenvorfälle, IVDD (Intervertebral Disc Disease), Wirbelkörperanomalien, konstriktive Myelopathie des Mopses
Fast ausschließlich alle Möpse und Bulldoggen zeigen röntgenologisch massive Wirbelkörperdeformationen, die auch gerne als „Keilwirbel“, „Schmetterlingswirbel“ oder „Hemivertebra“ bezeichnet werden.
Besonders französische Bulldoggen leiden unter den genetischen Folgen der Chondrodystrophie, die zu verkalkten Bandscheiben führen kann und bei Frenchies oft schon in jungen Jahren zu massiven Bandscheibenvorfällen (Hansen Typ I) führt! Bandscheibenvorfälle sind hochgradig schmerzhaft und können die Symptome Schmerz, leichte neurologische Defizite bis hin zur kompletten Lähmung umfassen. Komplett gelähmte Bullies können nicht mehr laufen und keinen Urin mehr absetzen. In den meisten Fällen ist eine OP an der Wirbelsäule das Mittel der Wahl. Eine solche OP ist risikoreich und mit langer Rekonvaleszenz und Physiotherapie verbunden. Zu spät operierte Bullies ohne Tiefensensibilität oder besonders schwerwiegende Schädigungen des Rückenmarkes verschlechtern die Prognose. Nicht jede OP ist also erfolgreich. Eine erfolgreich verlaufene OP und Rekonvaleszenz schützt außerdem nicht vor weiteren Bandscheibenvorfällen an anderen Stellen (!)
Fast JEDER Bully zeigt radiologisch Anomalien der Wirbelsäule! Ein großer Prozentsatz der Bullies entwickelt im Laufe seines Lebens einen Bandscheibenvorfall unterschiedlichen Schweregrades, andere Bullies haben ein Leben lang (chronische) Rückenschmerzen.
Möpse können ebenso klassische Bandscheibenvorfälle erleiden, sind aber öfter von der sogenannten „Mops-Myelopathie“ oder konstriktiven Myelopathie betroffen. Dabei handelt es sich um eine langsam progressiv verlaufene Rückenmarkserkrankung, die mit Lähmungserscheinungen der Hinterhand einher geht und zu Kot- und Harninkontinenz führt. Die genaue Ursache ist noch nicht gänzlich erforscht und verstanden. Mehrere Faktoren für die Entstehung der Myelopathie werden diskutiert (fehlende kaudale Gelenkfortsätze der Wirbelkörper, degenerierte Bandscheiben oder subarachnoidale Divertikel mit fibrösem Bindegewebe). Die konstriktive Myelopahie ist nicht heilbar und eine Folge der massiven anatomischen Wirbelsäulendeformationen.
Ataxien und progressiv verlaufene Hinterhandlähmungen sind klassisch für die „konstriktive Myelopathie“ beim Mops. Die Erkrankung ist meist nicht schmerzhaft.
4) Augenerkrankungen
Durch die starke Verkürzung des Schädels, ist die knöcherne Augenhöhle, die das Auge normalerweise umschließt und schützt, bei extrem brachycephalen nur noch rudimentär ausgebildet. Dadurch entstehen mehrere Probleme, da das Auge keinen guten „Halt“ mehr im Schädel hat und besonders „hervorsteht“ und damit deutlich weniger geschützt ist.
Damit das Auge nicht austrocknet, wird jedes mal beim Schließen der Augenlider einen Tränenfilm auf der Hornhaut verteilt. Durch das Hervorstehen des Auges, erreicht der Tränenfilm die Mitte der Hornhaut oft nicht mehr ausreichend, als Folge wird das Auge trocken und anfällig. Typische Augenerkrankungen bei brachycephalen Rassen:
1) erhöhte Gefahr eines Bulbusprolaps (der Augapfel „fällt“ aus der Augenhöhle), dies kann bei leicht erhöhtem Druck auf den Hals passieren (z.B. beim Spielen, wenn der Hund an der Leine zieht, oder wenn er sich stark aufregt). Neben starken Schmerzen, kann der betroffene Hund hier durch die Dehnung des Sehnervs nach wenigen Stunden auf dem Auge irreversibel erblinden! Man kann versuchen das Auge manuell zurückzuverlagern und das Auge im Anschluss für einige Tage zuzunähen, um einen erneuten Prolaps zu verhindern. Oft muss das Auge jedoch komplett entfernt werden.
2) erhöhtes Risiko für Hornhautverletzungen bis zum Hornhautulcus (weil das Auge exponierter ist für Umwelteinflüsse), häufig müssen hier aufwendige OPs durchgeführt werden wie blutige Nickhautschürzen, Gitterkeratotomien oder Bindehautflaps, um die Hornhaut zum Abheilen zu bekommen. Hornhautverletzungen sind sehr schmerzhaft.
3) erhöhtes Risiko für Keratokonjunctivitis sicca („trockenes Auge“), chronische Pigmentierung der Hornhaut als Folge der chronischen Reizung durch fehlenden Tränenfilm
4) „cherry eye“ – Vorfall der Nickhautdrüse, auch hier zeigen Brachycephale und insbesondere Bulldoggen eine deutliche Prädisposition
Diese Augen werden nur noch durch die Lider am Schädel gehalten, eine knöcherne Augenhöhle existiert praktisch nicht mehr. Der Hund im Video ist narkotisiert.
5) Zahnfehlstellungen / Malokklusion
Durch die Verkürzung des Kopfes kommt es zu einer skelettalen Kieferfehlstellung. Der Unterkiefer steht vor und es entsteht ein Unterbiss, der Hund hat kein funktionales Scherengebiss mehr. In der Regel können Zahnfehlstellungen vorliegen, oft fehlen Zähne komplett. Zähne können im Kiefer nur halb durchbrechen, gedreht sein oder zu eng mit anderen Zähnen stehen. Dies erhöht die Gefahr für abnormale Abnutzung, Schwellung und Parodontitis. In den Gaumenfalten kann es zu Haarwuchs kommen. Generell ist die Zahngesundheit brachycephaler Hunde durch das unphysiologische Verhältnis gefährdet.
Hale Veterinary Clinic toothvet@toothvet.ca www.toothvet.ca – Stop Brachycephalism, Now!
6) Hauterkrankungen
1) Eine Studie hat gezeigt, dass kurzköpfige Hunde ein vielfach höheres Risiko für Hautfaltendermatitis haben, als andere Rassen. Dies ist anatomisch bedingt. Hautfalten müssen regelmäßig gereinigt werden. Bei manchen Hunden entwickeln sich massive, bakteriell infizierte, sehr schmerzhafte Entzündungen. In manchen Fällen ist eine chirurgische Entfernung der übermäßigen Haut indiziert
2) Viele Möpse, Bullies und Bulldoggen sind hochallergisch auf Futtermittel oder Umweltallergene und benötigen strenge Diät und Medikation
3) außerdem häufiges Problem: Atopische Dermatitis, Demodikose, Ohrenentzündungen
Hautveränderungen bei allergischen französischen Bulldoggen
7) Fortpflanzung
Einige Rassen haben große Probleme beim natürlichen Deckakt, weshalb viele Hündinnen künstlich besamt werden. Aufgrund extrem hoher Komplikationsraten bei der natürlichen Geburt, lassen viele Züchter planmäßige Kaiserschnitte durchführen.
8) Bewegungsapparat
Neben dem Risiko eines Bandscheibenvorfalles, können viele brachycephale Rassen ebenso betroffen sein von Patellaluxation (Frenchie, Mops, Englische Bulldogge), HD (alle), ED/OCD (besonders englische Bulldogge) und Ellbogenfrakturen (Frenchie).
9) Mittelohrveränderungen, primäre sekretorische Otitis media
Ein gewisser Anteil brachycephaler Hunde (Mops, French Bulldog, Cavalier King Charles Spaniel, Boxer …) zeigen im CT-Befund abnorme Mittelohrbefunde mit Flüssigkeitsansammlung in der Paukenhöhle (normalerweise, sollte diese mit Luft gefüllt sein). Man geht davon aus, dass es durch die anatomische Veränderung (Schädelverkürzung) zur Verlegung der Eustachischen Röhre (verbindet das Mittelohr mit dem Nasenrachen) kommt und ein Abfluss der Mittelohrsekrete nicht mehr möglich ist. Eine „verstopfte Eustachische Röhre“ verhindert einen effektiven Druckausgleich und den Abfluss von Schleimhautsekret.
Folgen können „Druckschmerz“ sein (stell dir vor, du bist im Flugzeug und kannst keinen Druckausgleich mehr ausführen), der sich in Kopfschmerzen äußert. Kopfschiefhaltung, Nystagmus und vestibuläre Störungen können auftreten. Manche Hunde werden taub.
Eine zufriedenstellende Therapie für diese Hunde existiert nicht. Oft werden Myringotomien (Durchstechen des Trommelfells) oder Bullaosteotomien (Aufbohren der Paukenhöhle) durchgeführt, eine echte Heilung kann jedoch meistens nicht erreicht werden.
10) Schlafstörungen
Extrem brachycephale Hunde leiden oft an Schlafstörungen und Apnoe. Durch die engen Atemwege finden sie oft keine gute Schlafposition, in der sie ungehindert atmen können. Als Kompensation sieht man sie öfters im Sitzen, mit erhöhter Kopfposition oder mit einem Gegenstand im Maul schlafen, mit dem sie eine passive Öffnung und Streckung der Atemwege erreichen.
11) Wahrnehmung der Besitzer
Es wurden in der Vergangenheit bereits mehrere Studien mit Fragebögen durchgeführt, die zeigen, dass sehr viele Besitzer nicht in der Lage sind, die gesundheitlichen Probleme ihrer Hunde zu erkennen oder sie als „normal für die Rasse“ bezeichnen. Insbesondere Atemgeräusche werden als Rassecharakteristikum angesehen und nicht als pathologische Störung.
Das Bewusstsein für die massiven anatomischen Missstände ist oft nicht vorhanden.
Gründe, weshalb sich Menschen einen brachycephalen Hund kaufen:
Optik, „clowniger Charakter“, familienfreundlich, genügsam – braucht nicht so viel Auslauf, besonders beliebt in social media und Co, passt zum „Lifestyle“
12) rechtliche Grundlagen
Laut Tierschutzgesetz § 11b ist es verboten Wirbeltiere zu züchten, bei denen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.
Obwohl extrem brachycephale Rassen zweifelsohne die Spitze des Eisberges bzgl. Qualzucht in der Hundezucht darstellen, wurde in der Vergangenheit aufgrund fehlender Durchführungsverordnungen von gesetzlicher Seite aus die Zucht dieser Rassen weder reglementiert, noch abgestraft.
Seit 2022 kam mit der neuen Tierschutzhundeverordnung, die ein explizites Ausstellungsverbot für Hunde mit Qualzuchtmerkmalen vorsieht (Es ist verboten, Hunde auszustellen oder Ausstellungen mit Hunden zu veranstalten, bei denen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten) neuer Schwung in die Sache. Die Amtsveterinäre waren plötzlich in der Situation, dass sie entscheiden mussten, welche Hunde noch aufs Ausstellungsgelände dürfen und welche nicht. Bei einigen großen Ausstellungen kam es so bereits im Vorfeld zum Ausschluss von extrem brachycephalen Hunden.
In einigen anderen europäischen Ländern, wurden bereits bestimmte Zuchtverbote umgesetzt. Vorreiter waren die Niederländer, dort müssen die Zuchttiere nach bestimmten Kriterien von Tierärzten vermessen werden und dürfen nur in die Zucht, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen: Ampelsystem für Zuchthundev + Criteria Short Muzzled Dogs
13) RFG – Respiratory Function Grading Scheme in UK
In UK wird unter der Federführung von Dr. Jane Ladlow in enger Zusammenarbeit mit den Züchtern aus dem Kennel Club Forschung zum Thema BOAS betrieben. Es wurde ein respiratorisches Funktionsschema für die Rassen Mops, Französische Bulldogge und Englische Bulldogge entwickelt, mit dem Züchter ihre Hunde bzgl. BOAS in unterschiedliche Schweregrade einstufen lassen können.
Der Test besteht aus einer Untersuchung auf Atemgeräusche/Auskultation vor und nach 3 minütiger Belastung im Trab.
Grad 0
Grad 1
Grad 2
Grad 3
Anhand des Schemas werden die entsprechenden Hunde kategorisiert und es werden Zuchtempfehlungen ausgesprochen. Anmerkungen von meiner Seite: natürlich ist die Uni Cambridge auf die Zusammenarbeit der Züchter und des Kennel Klubs angewiesen, das alleine erklärt für mich, warum man Hunde mit Grad 2 überhaupt noch in der Zucht einsetzen darf. Ein zu radikales Vorgehen, würde die Mitarbeit der entsprechenden Züchter wohl noch weiter reduzieren.
Nicht vergessen darf man auch, dass BOAS progressiv verläuft und Hunde mit Grad 0 oder Grad 1 im Laufe ihres Lebens trotzdem Grad 2 oder 3 entwickeln können. Diese Untersuchung ist immer nur eine MOMENTAUFNAHME.
Studien haben gezeigt, dass ein 3 minütiger Belastungstest die Chance ein bestimmtes Atemgeräusch, das auf einen Kehlkopfkollaps hinweist, während der Auskultation zu detektieren, deutlich erhöht. Der Kehlkopfkollaps ist ein prognostischer Faktor für besonders schwerwiegende BOAS und kaum behandelbar und daher von starker Bedeutung. Ein fehlendes Atemgeräusch ist im Umkehrschluss aber leider KEIN AUSSCHLUSS FÜR EINEN KEHLKOPFKOLLAPS!
Viele BOAS betroffene Hunde, werden vermutlich nicht zum Funktionstest vorgestellt.
Für mich stellt sich zudem die Frage, wie belastbar Hunde mit Grad 0 und 1 unter größerer körperlicher Belastung sind. Besonders der Frenchie, der mit Grad 0 im Video bewertet wurde, zeigt nach der 3 minütigen Belastung deutliche Probleme mit seiner Thermoregulation (plattes Liegen auf dem Bauch, gestreckter Kopf).
Auch wenn mir das RFG Schema persönlich nicht weit genug geht und in meinen Augen Sicherheit suggeriert, die ich an dieser Stelle etwas in Fage stelle, so ist es zumindest schon mal ein erster Schritt um das Bewusstsein der Züchter und Käufer für die Problematik zu schulen.
14) Was gerade in Deutschland passiert, VDH
Belastungstest für Möpse, Bulldoggen und Frenchies, Zitat von der VDH-Seite:
„Bei diesem Test müssen die Teilnehmer eine Strecke von 1.000 Metern innerhalb von 11 Minuten zurücklegen. Zu Beginn und zum Ende der Belastung sowie nach 5- und 10-minütiger Erholung werden von einem Tierarzt die Herzfrequenz und die Atemgeräusche der Hunde überprüft. Hunde, die nicht die geforderte Erholung nach der Belastung zeigen oder die Strecke in der Zeitvorgabe nicht absolvieren können, erhalten keine Zuchtzulassung, wobei die Entscheidung vom untersuchenden Tierarzt getroffen wird.“
Belastungstest in Arbeit mit der GKF: Neuer Fitnesstest für Möpse
Belastungstest für Brachycephale, entwickelt von Prof. Dr. Nolte an der TiHo: Standardisierter Fitnesstest für brachycephale Rassen auf dem Laufband
Viele Züchter im VDH negieren, dass es ein Problem mit den „Brachys“ gibt. Ernstzunehmende Zuchtstrategien zur Verbesserung der Gesundheit (wenn man mal vom 11minütigen Belastungstest absieht) wurden bis jetzt nicht vorgestellt oder durchgeführt.
Von der FCI wurden bereits 2020 in einer Kommission Empfehlungen erarbeitet, die allerdings relativ schwammig gehalten sind: Bericht, Strategie und Empfehlungen Wissenschaftliche Kommission der FCI, 15.07.2020
Anfang 2022 hat der VDH die „Breed Specific Instructions“ (BSI) veröffentlicht, die sicherstellen sollen, dass auf Shows „weiterhin fitte und gesunde Hunde ohne Übertreibungen“ präsentiert werden, um die Gesunderhaltung unserer Rassen zu fördern: VDH BREED SPECIFIC INSTRUCTIONS
Bis heute gibt es keine verpflichtende vereinsübergreifende Dokumentation von BOAS betroffenen Hunden.
15) Wo kommen die ganzen Hunde her?
Tatsächlich kommt nur ein Bruchteil aller Möpse, Frenchies und Bulldoggen aus VDH-registrierten Zuchten.
Beispiel: 2020 wurden im VDH 193 Frenchiewelpen registriert, aber bei Tasso (deutsches Heimtierregister) über 13.600 Französische Bulldoggen angemeldet (!!!). Die Mehrheit aller Frenchies und Möpse, die wir auf der Straße sehen, stammen also aus Nicht-VDH-Zucht, von Vermehrern und wahrscheinlich auch zu einem großen Teil aus Puppy-Mills aus Osteuropa.
16) Rückzüchtungen, Retromops und Co. – Bemühungen für einen moderateren Phänotyp
Unter dem Slogan „Altdeutscher Mops“ und „Retromops“ werden Möpse vermarktet, die gesünder und sportlicher sein sollen. Oft sind diese Hunde Mischungen aus Möpsen mit Jack Russell Terriern und Beaglen. Ein wissenschaftlich begleitetes und transparent gestaltetes Rückzüchtungsprojekt existiert jedoch nicht. Aktuell handelt es sich bei diesen Züchtern um vereinzelte Idealisten oder um geschäftstüchtige Vermehrer, die ihre Hunde unter falschen Versprechungen an den Mann bringen.
Generell kann man leider nicht sagen, dass Mops- und Frenchiemischlinge kein Risiko für BOAS und andere spezifische Erkrankungen haben. Eine etwas längere Nase macht einen Hund leider noch nicht gesund. Es konnte aber durchaus gezeigt werden, dass sich „Retromöpse“ im Vergleich zum „klassischen Mops“ nach Belastung deutlich besser und schneller erholen, als „echte Möpse“ (kein Unterschied, ob VDH oder nicht VDH gezogen, siehe Studie). Alleine dies lässt natürlich den Rückschluss zu, dass eine moderatere Anatomie von Vorteil ist! (Wer hätte das gedacht ….).
Bei den französischen Bulldoggen gibt es einen Verein (kein! VDH-Verein), der recht vielversprechende Ansätze verfolgt, die unter anderem einige sehr ausführliche und kostenintensive Untersuchungen der Zuchttiere beinhalten, sowie die Einkreuzung von Fremdrassen nicht ausschließt und die Förderung eines hochbeinigen, langhalsigen und weniger kompakten Frenchies im Sinn hat. Siehe hier: https://www.gesunde-bulldoggen.de/
Fakt ist – aktuell kann kein Züchter garantieren, einen gesunden Mops oder eine gesunde französische Bulldogge oder eine gesunde englische Bulldogge zu züchten. Der Kauf dieser Rassen beinhaltet immer ein hohes Risiko eine gesundheitliche Dauerbaustelle zu erwerben und jeder Kauf einer solchen Rasse fördert und unterstützt Tierleid.
17) Ethik und persönliches Statement
Ist es vertretbar Hunde mit einer Anatomie zu züchten, die ihnen ein Leben lang Einschränkungen, Behinderungen und im schlimmsten Fall massive Schmerzen und Atemnot verursacht? Meine Meinung: nein.
Es gibt keinerlei Begründung oder ethische Rechtfertigung für das Ausmaß des Leids, das extrem brachycephale Rassen tagtäglich erleiden müssen. Die Studienlage ist mehr als eindeutig und absolut erdrückend. Es gibt kein anderes Qualzuchtmerkmal, das so überwältigend in Studien erforscht wurde. Die anatomischem Missbildungen, die von Haltern und Züchtern nicht nur Kauf genommen werden, sondern WISSENTLICH gefördert werden, machen aus einem einst funktionalem Jäger und Ausdauerläufer eine deformierte Karikatur seiner selbst.
„Freies Atmen“ und beschwerdefreies Laufen darf kein „Qualitätsmerkmal“ einer Rasse sein. ES MUSS SELBSTVERSTÄNDLICH SEIN. IMMER!!!!
Extreme Brachycephalie ist tierschutzrelevant! Zucht auf extreme Brachycephalie ist die wissentliche Inkaufnahme schwerwiegender, anatomischer Missbildungen und Funktionsstörungen. Oder um es mal ganz deutlich zu sagen: um eine fragwürdige Optik zu erhalten, machen wir Hunde zu anatomischen Krüppeln.
Der Kauf solcher Rassen fördert und unterstützt Tierleid.
Selbst wenn man es schaffen sollte, BOAS in brachycephalen Rassen zu minimieren und einen moderateren Phänotyp zu etablieren, stelle ich mir immer noch folgende Fragen: was ist mit all den anderen gesundheitlichen Baustellen? Wie viele Hunde müssen auf dem Weg „zum gesunden Brachy“ noch durch die Hölle gehen? Wie viel „Kollateralschaden“ darf man in Kauf nehmen? Und wie kann man garantieren, dass „Brachy-Verfechter“ diese Hunde nicht wieder zur Minusnase züchten, wo es schon zum aktuellen Zeitpunkt bei den Brachyzüchtern kaum Einsicht oder Verständnis für die berechtigte Qualzuchtkritik gibt?
bald verfügbar!
Quellen
BOAS
- Brachycephalie Airway Syndrom
- Structural characteristics of the nose in brachycephalic dog breeds analysed by computed tomography
- Brachycephalic syndrome in dogs
- The Anatomy of the Dog Soft Palate. III. Histological Evaluation of the Caudal Soft Palate in Brachycephalic Neonates
- The Anatomy of the Dog Soft Palate. II. Histological Evaluation of the Caudal Soft Palate in Brachycephalic Breeds With Grade I Brachycephalic Airway Obstructive Syndrome
- The impact of tongue dimension on air volume in brachycephalic dogs
- Use of computational fluid dynamics to compare upper airway pressures and airflow resistance in brachycephalic, mesocephalic, and dolichocephalic dogs
- Brachycephalic airway syndrome: a comparative study between pugs and French bulldogs
- Validation of exercise testing and laryngeal auscultation for grading brachycephalic obstructive airway syndrome in pugs, French bulldogs, and English bulldogs by using whole-body barometric plethysmography
- Nasopharyngeal Dimensions From Computed Tomography of Pugs and French Bulldogs With Brachycephalic Airway Syndrome
- Brachycephalic Airway Syndrome: Pathophysiology and Diagnosis
- Evaluierung eines laufbandgestützten, submaximalen Fitnesstests bei Hunden der Rasse Mops und Überprüfung der Aussagekraft in Bezug auf das Brachyzephale Obstruktive Atemwegssyndrom
Beziehung zwischen gastrointestinaler Beschwerden und BOAS
- Relationship between brachycephalic airway syndrome and gastrointestinal signs in three breeds of dog
- Digestive Diseases in Brachycephalic Dogs
- Prevalence of gastrointestinal tract lesions in 73 brachycephalic dogs with upper respiratory syndrome
- Effects of manipulations to detect sliding hiatal hernia in dogs with brachycephalic airway obstructive syndrome
- Long-term results of upper respiratory syndrome surgery and gastrointestinal tract medical treatment in 51 brachycephalic dogs
- Diagnosis and treatment of gastro-oesophageal junction abnormalities in dogs with brachycephalic syndrome
oxidativer Stress von BOAS-Hunde vor und nach OP
Risikofaktoren für BOAS in brachycephalen Hunden
- Conformational risk factors of brachycephalic obstructive airway syndrome (BOAS) in pugs, French bulldogs, and bulldogs
- Exaggerated breeding and its health consequences in dogs, with a special focus on brachycephalic conformation
Wahrnehmung von Besitzern
- Do dog owners perceive the clinical signs related to conformational inherited disorders as ‘normal’ for the breed? A potential constraint to improving canine welfare
- Great expectations, inconvenient truths, and the paradoxes of the dog-owner relationship for owners of brachycephalic dogs
- People’s perception of brachycephalic breeds and breed-related welfare problems in Germany
- Purchasing popular purebreds: investigating the influence of breed-type on the pre-purchase motivations and behaviour of dog owners
Risiko für Aspirationspneumonie in brachyzephalen Rassen
Augenerkrankungen
- Ophthalmic disorders in a referral population of seven breeds of brachycephalic dogs: 970 cases (2008–2017)
- II- DRY EYE DISEASE AND PIGMENTARY KERATITIS IN BRACHYCEPHALIC DOGS – A BRIEF REVIEW
- Brachycephalic ocular syndrome in dogs
- Impact of Facial Conformation on Canine Health: Corneal Ulceration
- Addressing Brachycephalic Ocular Syndrome in the Dog
- Pug appeal: brachycephalic ocular health
- Effect of brachycephalic, mesaticephalic, and dolichocephalic head conformations on olfactory bulb angle and orientation in dogs as determined by use of in vivo magnetic resonance imaging
- Bulging eyes and dry corneas: managing common ophthalmology conditions in brachycephalic dogs
Hyperkoagulation und erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Thrombembolien
Falten Dermatitis
Schlafstörungen
- Sleep-disordered breathing in the Cavalier King Charles spaniel: A case series
- Owner reported breathing scores, accelerometry and sleep disturbances in brachycephalic and control dogs: A pilot study
Wirbelkörperanomalien + Bandscheibenprobleme + Mops-Myelopathie
- Thoracic Vertebral Canal Stenosis Associated with Vertebral Arch Anomalies in Small Brachycephalic Screw-Tail Dog Breeds
- Degenerative, dystrophic processes of the cervical spine and hemodynamic failure in the vertebrobasilar system
- The presence, morphology and clinical significance of vertebral body malformations in an Australian population of French Bulldogs and Pugs
- Late onset recurrence of clinical signs after surgery for intervertebral disc extrusion in French bulldogs
- Presence of thoracic and lumbar vertebral malformations in pugs with and without chronic neurological deficits
- Canine DVL2 variant contributes to brachycephalic phenotype and caudal vertebral anomalies
- Prevalence of thoracic vertebral malformations in French bulldogs, Pugs and English bulldogs with and without associated neurological deficits
- Congenital malformations of the lumbosacral vertebral column are common in neurologically normal French Bulldogs, English Bulldogs, and Pugs, with breed-specific differences
- Prevalence of neurological disorders in French bulldog: a retrospective study of 343 cases (2002–2016)
- A Comparison of Thoracolumbar Intervertebral Disc Extrusion in French Bulldogs and Dachshunds and Association With Congenital Vertebral Anomalies
- Constrictive myelopathy secondary to hypoplasia or aplasia of the thoracolumbar caudal articular processes in Pugs: 11 cases
- Pug Myelopathy – Studienübersicht
- Tail end of the brachycephalic problem: diagnostic and treatment options for spinal malformations
Hirn-assoziierte Erkrankungen bei brachycephalen Hunden
- Brain Disorders Associated with Brachycephaly
- New considerations about Chiari-like malformation, syringomyelia and their management
- Behavioral and clinical signs of Chiari-like malformation-associated pain and syringomyelia in Cavalier King Charles spaniels
- MAGNETIC RESONANCE IMAGING FINDINGS IN HISTOLOGICALLY CONFIRMED PUG DOG ENCEPHALITIS
- The Need for Head Space: Brachycephaly and Cerebrospinal Fluid Disorders
Malokklusion
- Malocclusions in Dogs – When Teeth Are Malaligned
- Conditions Seen in Both Small and Brachycephalic Breeds; Therefore Small Brachycephalic Breeds (Pug, Lhasa Apso, Shih Tzu, etc.) Are Even More Significantly Affected
Brachycephalie assoziierte Mittelohrveränderungen
- COMPARISON BETWEEN COMPUTED TOMOGRAPHIC CHARACTERISTICS OF THE MIDDLE EAR IN NONBRACHYCEPHALIC AND BRACHYCEPHALIC DOGS WITH OBSTRUCTIVE AIRWAY SYNDROME
- Untersuchungen zur Epidemiologie und Pathophysiologie der primären sekretorischen Otitis media beim caninen Brachyzephalen
OP-Methoden
- Objective effectiveness of and indications for laser-assisted turbinectomy in brachycephalic obstructive airway syndrome
- Outcomes and prognostic factors of surgical treatments for brachycephalic obstructive airway syndrome in 3 breeds
WBBP
- Whole-Body Barometric Plethysmography Characterizes UpperAirway Obstruction in 3 Brachycephalic Breeds of Dogs
- Characterisation of Brachycephalic Obstructive Airway Syndrome in French Bulldogs Using Whole-Body Barometric Plethysmography
Strategien und Management von brachycephalen Hunden
Anästhesie-Risiko
- Risk of anesthesia-related complications in brachycephalic dogs
- Brachycephalic airway syndrome: management of post-operative respiratory complications in 248 dogs
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